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kommt der Stuhl eine breiige Konsis-  Stück Lebensqualität (Hofmann, Sum-  tivation aus Sorge vor unfreiwilligen
            tenz und Udo entleert den Stomabeu-  ma, 2017, S.105).                Stuhlabgängen weiter herabgesetzt.
            tel fünf- bis sechsmal in 24 Stunden.   Mit Einsetzen der Beschwerden sind   Nach der Proktokolektomie ist Udo
            Seit der SRV hat er keine unfreiwilli-  die sportlichen Aktivitäten kaum   zunächst erschöpft. Die Zeit als Sto-
            gen Stuhlabgänge, kann den breiigen   noch möglich, Fußball wird immer   maträger ermöglicht es ihm nachts
            Stuhl sowohl einhalten als auch drei-   weniger gespielt, Außenaktivitäten   durchschlafen zu können, wodurch
            bis fünfmal in 24 Stunden kontrolliert   sind nur möglich, wenn eine Toilette   seine Lebensqualität langsam zu-
            ausscheiden, was einen enormen Zu-  in der Nähe ist. Tagesausflüge mit der   nimmt und seit der SRV hat er viel
            gewinn an Lebensqualität hervorruft.  Familie können nur mit vielen Pausen   Energie, ist positiv gestimmt, hoch-
                                               stattfinden. Udos Lebensqualität ist   motiviert und hat wieder Lebenslust.
              - Ernährung, Trinkverhalten,     gravierend reduziert. Zudem gibt es
                Körpergewicht                  viele Klinikaufenthalte, die sein Sozi-    - Ängste, Unsicherheiten,
            Udo mag schon immer Obst, Gemüse   alleben ebenfalls sehr einschränken.       Erwartungen
            sowie Suppen und trinkt gern Tee.   Seit der Erkrankung beschäftigt er   Vor der Erkrankung hat Udo keinerlei
            Abneigungen hat er gegen Fleisch.   sich häufig am Computer und liebt   Ängste, doch mit der CU entwickel-
            Seit der Erkrankung verträgt er keine   es, zu puzzeln. Nach der Proktokolek-  ten sich diese. Zunächst weiß er
            Fette, Kraut und scharfe Lebensmit-  tomie läuft Udo als Stomaträger kur-  nichts über das Ausmaß der Erkran-
            tel. Daran hat sich nichts geändert.   ze Strecken und seit der SRV, geht er   kung und zunehmend macht er sich
            Als Stomaträger hat er die Trinkmen-  vermehrt mit dem Hund spazieren   Sorgen, nicht rechtzeitig eine Toilette
            ge von früher, ein bis zwei Liter, auf   und steigert seine Aktivitäten. Udo   zu finden, ausgelacht zu werden, ein
            zwei bis vier Liter täglich verdoppelt   unternimmt viel mit seinen Freunden   Leben lang Windeln tragen zu müs-
            und seit der SRV trinkt er anderthalb   und übernachtet sogar bei ihnen, was   sen und nicht mehr normal leben zu
            bis drei Liter pro Tag.            ihm einen enormen Zugewinn an      können. Immer wieder erfährt er
            Udo ist in seiner Entwicklung immer   Lebensqualität bringt.          Rückschläge, weil Medikamente nicht
            normalgewichtig, bei Ausbruch der                                     oder nur kurzzeitig wirken. Dazu
            CU verliert er elf Kilogramm Körper-    - Schule, Fehlzeiten          kommt die Angst vor einer großen
            gewicht und wiegt noch 34 kg, wäh-  Udo mag die Schulfächer Sport und   Operation und einer Behinderung.
            rend der Cortisontherapie nimmt er   Mathematik besonders gern und hat   Nach der Stomaanlage hat er zu-
            deutlich an Gewicht zu und bringt 65   vor der Erkrankung kaum Versäum-  nächst keine Sorgen, doch das ändert
            kg auf die Waage. Als Stomaträger   nisse in der Schule, das ändert sich   sich mit der Ileussymptomatik und
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            wiegt er 50 kg und drei Monate nach   mit Ausbruch der CU deutlich. Die   der notwendigen Revisions-OP, die
            der SRV 53 kg. Mit seinen Eltern   starken Beschwerden und vielen sta-  Sorge wächst, dass ein solcher Ver-
            nimmt er regelmäßig Termine bei der   tionären Behandlungen führen zu   schluss erneut auftreten könnte.
            Ernährungsberatung wahr und ge-    enormen Fehlzeiten. Während der    Zunächst ist er unsicher im Umgang
            meinsam setzt die Familie die hilfrei-  Covid-19-Pandemie profitiert Udo   mit dem Stoma und dessen Versor-
            chen Tipps um.                     von neuen Homeschooling-Modellen   gung aber er lernt schnell die Hand-
                                               mit Online-Unterricht. Die Zeit als   habung und kann sich selbst und
              - Schmerzen, Schmerzmittel-      Stomaträger fällt überwiegend in die   ohne fremde Hilfe versorgen.  Seit der
                bedarf                         Ferienzeit und seit Ende Januar 2022   SRV ist Udo zuversichtlich, hofft, dass
            Vor der Erkrankung hat Udo keine   geht Udo wieder regelmäßig zur     der J-Pouch hält, freut sich über seine
            Schmerzen, während der Erkrankung   Schule. Seitdem hat er keine Fehlzei-  neu gewonnene Lebensqualität und
            muss er die Bauchkrämpfe gelegent-  ten mehr und schafft es, während des   wieder zur Schule gehen zu können,
            lich mit Schmerzmittel behandeln   Unterrichts, nicht auf die Toilette ge-  Freunde zu treffen und an gemeinsa-
            lassen. Auf der Numerischen Rating-  hen zu müssen, was er als ein tolles   men Unternehmungen teilhaben zu
            Skala von null bis zehn (null = keine   Gefühl beschreibt. Udo nimmt wieder   können.
            Schmerzen, zehn = stärkste vorstell-  an Schulausflügen teil, dadurch ist   Udos Eltern sorgen sich als erstes um
            bare Schmerzen) gibt er die Bauch-  sein Sozialleben wiederhergestellt.  den enormen Gewichtsverlust von elf
            schmerzen retrospektiv mit fünf an.                                   Kilogramm, bewältigen mit ihrem
            Postoperativ werden Wundschmer-      - Allgemeinbefinden,             Sohn viele Arztbesuche, müssen wei-
            zen angegeben und behandelt, im        Motivation, Müdigkeit          terhin ihr Berufsleben und die Versor-
            weiteren Verlauf als Stomaträger und   Als gesundes Kind ist Udo immer   gung der beiden anderen Kinder
            nach der SRV bestehen keine        motiviert, sehr optimistisch und hat   aufrechterhalten, die sich selbstver-
            Schmerzen.                         einen normalen Tag-Nacht-Rhyth-    ständlich auch um ihren Bruder sor-
                                               mus. Im Pubertätsalter ist Antriebsar-  gen. Die Diagnose ist ein einschnei-
              - Hobbys, Freizeitgestaltung,    mut, eine Null-Bock-Mentalität ty-  dender Moment im Leben der Fami-
                Familienleben                  pisch (Endres et al., 2018, S. 343). Die   lie. Alle Hoffnung wird in die
            Bis zum Ausbruch der CU ist Udo sehr   CU geht einher mit schneller Erschöp-  Infusionstherapien gesetzt. Die Eltern
            aktiv, liebt es, Fußball mit Freunden   fung und Müdigkeit, zum einen ver-  haben Angst um ihren ältesten Sohn,
            und seinem Bruder zu spielen, fährt   liert Udos Körper viel Flüssigkeit, zum   sorgen sich, dass er depressiv oder
            Fahrrad und geht schwimmen. Für    anderen muss er nachts häufig zur   ein Mobbing-Opfer unter Gleichaltri-
            viele Menschen, so auch für Udo, be-  Toilette, was seinen Schlafrhythmus   gen wird, obgleich LehrerInnen und
            deutet sportliche Aktivität ein großes   stört. Zudem wird die reduzierte Mo-  MitschülerInnen viel Verständnis auf-


                                                                                                   Nr. 93 · 12/2023
            Das Thema                                                                              N r .   9 3   ·   1 2 / 2 0 2 3  9 9
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