Page 28 - MagSI Magazin Nr. 85_2021
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Kritische Analyse               lichkeit bieten, wie z. B. das Sprechen in  Stomaträgern werden von den Pflegen-
                                          kurzen Sätzen unter Aufrechterhaltung  den nonverbale Anzeichen und physio-
        Pflegende setzen in der beschriebenen  des Blickkontaktes oder die Nutzung  logische Hinweise auf Schmerzen er-
        Klinik die Krankheit Demenz vorwie-  von Gestiken, wenn die Sprache nicht  fasst. In manchen Fällen werden auch
        gend mit dem Symptom der Vergess-  mehr verstanden wird. Dadurch gewin-  Angehörige zu ihrer Einschätzung be-
        lichkeit gleich. In der Literatur wird je-  nen demenzielle Patienten Vertrauen in  fragt. Diese Methoden sind laut vorlie-
        doch klar formuliert, dass die    die Pflegebeziehung. Zudem werden,  gender Literatur zentrale Aspekte zur
        Erkrankung Demenz mit mehreren ko-  mithilfe der person-zentrierten Kom-  Schmerzerfassung dieser Patienten-
        gnitiven Defiziten einhergeht, die ne-  munikation, Ursachen für herausfor-  gruppe. Zur weiteren systematischen
        ben dem Denken auch die Sprache, das  dernde Verhaltensweisen erkannt und  Erfassung wird jedoch zusätzlich das
        emotionale Erleben, die Sinneswahr-  pflegerische Maßnahmen zur Deeskala-  Fremdeinschätzungsinstrument BESD
        nehmung, die Persönlichkeit, die Orien-  tion entwickelt. Neben dieser Kommu-  empfohlen, welches jedoch im klini-
        tierung, die Motorik und das Urteilen  nikationsform wird in der Literatur zu-  schen Alltag der Autorin nicht genutzt
        betreffen. Die Fachliteratur macht zu-  sätzlich das biografieorientierte  wird.
        dem deutlich, dass Demenzkranke, auf-  Arbeiten im Umgang mit demenziell Er-
        grund von kommunikativen Einschrän-  krankten empfohlen. Mithilfe von bio-  Lösungsvorschläge
        kungen, herausfordernde           grafischen Informationen können die
        Verhaltensweisen nutzen, um ihre un-  Verhaltensweisen demenziell Erkrank-  Angesichts der beschriebenen Diskre-
        erfüllten Bedürfnisse und Probleme zu  ter optimaler gedeutet aber auch Lö-  panz zwischen theoretischen Forderun-
        äußern. Herausfordernde Verhaltens-  sungsstrategien zur Deeskalation iden-  gen und gelebter Praxis wird deutlich,
        weisen sind für den Betroffenen dem-  tifiziert werden. Im vorgestellten  dass eine Optimierung der pflegeri-
        nach bedeutungsvoll. Im Gegensatz  klinischen Alltag der Autorin liegen den  schen Versorgungsqualität im Umgang
        dazu werden von vielen Pflegenden der  Pflegenden weder Informationen über  mit herausfordernden Verhaltenswei-
        beschriebenen Klinik die herausfor-  erfolgreiche Lösungsstrategien bei her-  sen von demenzkranken Stomaträgern
        dernden Verhaltensweisen demenziel-  ausfordernden Verhaltensweisen aus  notwendig ist. Im Rahmen der kriti-
        ler Stomaträger, wie die ständige Ent-  dem gewohnten Versorgungssetting  schen Analyse konnte festgehalten
        fernung von Stomaversorgungs-     noch biografische Informationen (Ab-  werden, dass das Grundverständnis für
        systemen, als absichtliche Provokatio-  neigungen, Vorlieben, etc.) über die de-  die Erkrankung Demenz und die Ursa-
        nen verstanden. Diese Interpretation  menziell Erkrankten in schriftlicher  chen von herausfordernden Verhaltens-
        des Verhaltens wirkt sich in einigen Fäl-  Form vor. Bei aggressiven Reaktionen  weisen bei den Pflegenden häufig nur
        len auf die Kommunikation und das  der demenziellen Patienten sehen die  bruchstückhaft vorhanden ist. Dies ist
                                                                             allerdings laut vorliegender Literatur
                                          Pflegenden den Einsatz von Psycho-
        Verhalten der Pflegekräfte aus. Sie zei- ©FgSKW
        gen sich häufig distanzierter und unge-  pharmaka als eine Möglichkeit dieses  die Basis zur Planung und Umsetzung
        duldiger. Die pflegerische Versorgung  herausfordernde Verhalten zu unterbin-  von geeigneten pflegerischen Maßnah-
        demenziell Erkrankter wird dann oft-  den. In manchen Fällen werden auch  men zur Deeskalation des demenziel-
        mals von zwei Pflegepersonen durch-  körpernahe Fixierungen nach Arztan-  len Verhaltens. Ferner ist die Einstellung
        geführt und hat einen funktionalen  ordnung durchgeführt. Mithilfe dieser  der Pflegenden gegenüber demenziell
        Charakter. Lösungen zur Reduktion des  Maßnahmen wird der„Störfaktor“ Pati-  Erkrankten sowie die Kommunikation
        Verhaltens werden oftmals in erzieheri-  ent in seinem Verhalten gehindert oder  und der Umgang mit dem Demenz-
        schen Belehrungen gesucht. Damit ist  gehemmt. Das Ziel der Pflegenden be-  kranken ein zentraler Aspekt für den
        gemeint, dass der Patient z. B. in kurzen  steht darin die stationären Routinear-  Aufbau einer guten Pflegebeziehung
        Gesprächen gebeten wird die Manipu-  beiten fortzuführen. Die Ursache für  und eine weitere Möglichkeit zur Dees-
        lationen zu unterlassen. Demgegen-  das Verhalten des Demenzkranken wird  kalation. Aufgrund dessen ist die Ent-
        über werden in der Literatur person-  dadurch nicht erkannt. Infolge der  wicklung eines Fortbildungskonzeptes
        zentrierte Kommunikationsformen, wie  nicht wahrgenommenen Bedürfnisse  für krankenhausinterne Pflegefachkräf-
        die Validation und die basale Stimulati-  oder Probleme, verstärkt der Patient  te zum Thema„Erste Hilfe bei herausfor-
        on, im Umgang mit demenziell Erkrank-  sein Verhalten. Studienergebnisse be-  dernden Verhaltensweisen demenziel-
        ten empfohlen, die auf einer wertschät-  stätigen eine Zunahme des agitierten  ler Stomaträger“ der zentrale
        zenden Grundhaltung beruhen. Bei  und aggressiven Verhaltens durch kör-  Lösungsvorschlag dieser Abschlussar-
        diesen Kommunikationsformen werden  pernahe Fixierungen. Die Nebenwir-  beit. Das Ziel dieser Fortbildung liegt
        die demenziell Erkrankten als Individu-  kungen der Psychopharmaka haben für  primär in der Sensibilisierung und Be-
        en wahrgenommen, die ihre Bedürfnis-  demenziell Erkrankte weitere Folgen. In  wusstmachung der Pflegenden für die
        se auf eine andere Art zum Ausdruck  der Literatur wird beschrieben, dass  Ursachen von demenziellem Verhalten
        bringen und bedingt durch ihre Erkran-  spezielle Psychopharmaka, die eine an-  sowie die Umgangsformen und Maß-
        kung auf einen gefühlsorientierten ver-  ticholinerge Komponente besitzen,  nahmen, die herausfordernde Verhal-
        stehenden pflegerischen Umgang an-  akute Verwirrtheitszustände verursa-  tensweisen zusätzlich provozieren kön-
        gewiesen sind. Unter Berücksichtigung  chen. Demnach ist der Einsatz dieser  nen. Weiterhin soll die Fortbildung den
        der kognitiven Fähigkeiten werden un-  Maßnahmen, laut vorliegender Litera-  Pflegefachkräften Maßnahmen zur De-
        terschiedliche Kommunikationstechni-  tur, als inadäquat und kontraproduktiv  eskalation aufzeigen, sodass sie mehr
        ken eingesetzt, die dem Betroffenen  zu bezeichnen. Im Hinblick auf die  Sicherheit im Umgang mit demenziel-
        eine verbesserte Orientierungs-, Wahr-  Schmerzerfassung von kommunikativ  len Stomaträgern erhalten. Der Schwer-
        nehmungs- und Kommunikationsmög-  stark eingeschränkten demenzkranken  punkt liegt dabei in dem Erwerb von

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